Lokalisierungen sind eine nicht unproblematische Sache. Sicher setzt man sich als Verlag ins gemachte Nest, denn man muss ja „nur“ ein fertiges Spiel ins Deutsche übertragen. Das ist je nach Vorlage sicher mal mehr und mal weniger Arbeit, aber am Ende ist es Arbeit. Und das ne ganze Menge. Im Gegenzug kann man bekannte Schnitzer aus dem Originalspiel direkt vermeiden in dem man z.B. eine Errata direkt in die Regel einarbeitet.
Frosted Games, ein junger Verlag der uns in Deutschland mit schönen Titeln wie 13 Tage oder Paper Tales beglückt hat, versucht sich nun an dem VPG Titel Nemo’s War. 10 Jahre ist es bereits her, als die erste Edition von Nemo’s War die Spieler (vor allem Jules Verne Fans) verzückt hat. 2009 noch getreu dem Verlagsmotto „The game is the thing“ mit einfachsten produktionstechnischen Mitteln, aber schon 2009 Werkgetreu – zumindest in sofern, dass die beschreibenden Texte („flavour“ Text) mit der in Projekt Gutenberg eingestellten englischen Fassung von Frederick Paul Walter übereinstimmen.
Die Freude war nicht nur bei mir groß als 2016 VPG eine Kickstarter-Kampagne für eine aufwändig überarbeitete 2nd Edition des Spieles ankündigte, welche 2017 dann auch ausgeliefert wurde. Aufwändig in so fern, das nicht nur das Spiel an sich überarbeitet wurde (was sich im Rahmen hält, es gibt spielerisch keinen Grund sich das neue Spiel zu holen, wenn man das alte hat) sondern auch die grafische Gestaltung und vor allem das Spielmaterial, was eine wesentlich höhere Materialqualität hat. Wer mehr über VPG wissen möchte, den verweise ich auf meinen BLog-Artikel von 2012: VPG: Der unbekannte Verlag
Mit der 2nd Edition wurden die „flavour“-Texte an die auf Google-Books archivierte englische Fassung „EXTRAORDINARY JOURNEYS – Complete Collection“ von Lewis Page Mercier angepasst und Teilweise auch verkürzt.
Was macht man nun mit so einem Fall? Für Frosted Games ware die Sache offenkundig glasklar: Man übersetzt den englischen Text ins Deutsche. Das dadurch im Grunde zwangsläufig etwas anderes raus kommt, als das was in den deutschen Editionen des Romans zu finden ist, rechtfertigt man dann dadurch, das ja auch die deutsche Fassung eine Übersetzung ist. Das Original ist schliesslich in Französisch. Das ist natürlich korrekt, nur was möchte man uns damit glaubhaft machen? – Das man die eigene Übersetzung der englischen Übersetzung für besser hält eine autorisierte Übersetzung ins Deutsche? Ernsthaft?
Nehme wir mal zum Beispiel die Karte „Act Three“ mit dem Text:
„The Nautilus went at a frightful pace, forty miles an hour. It literally tore through the water. Where was Captain Nemo? Had he succumbed? Were his companions dead with him?“
Das entspricht exakt dem Wortlaut der „EXTRAORDINARY JOURNEYS – Complete Collection“ von 2016. Schauen wir was in der autorisierten Deutschen Edition steht, welche auf dem Projekt Gutenberg zu finden ist:
„Der Nautilus fuhr mit der erschrecklichen Geschwindigkeit von vierzig Meilen in der Stunde. Wo befand sich der Kapitän Nemo? War er gestorben? Waren seine Genossen mit ihm erlegen?“
In der Arno Schmidt Referenzbibliothek finden wir folgendes:
„Die ›Nautilus‹ fuhr mit der schrecklichen Geschwindigkeit von 40 Meilen in der Stunde. Wo befand sich Kapitän Nemo? War er gestorben? Waren seine Genossen mit ihm erlegen?“
Und was finden wir in der deutschen Edition des Spiels:
„Die Nautilus fuhr mit angsteinflößender Geschwindigkeit, 40 Meilen die Stunde. Sie zerriss das Wasser förmlich. Wo befand sich Kapitän Nemo? War er seinen Verletzungen erlegen? Waren seine Gefährten ebenfalls tot?“
Oder nehmen wir die Karte „Jaws Wide Open“ mit dem Text:
„The shark returned when I saw Captain Nemo rise suddenly, dagger in hand, ready to fight the monster. With wonderful quickness he buried his dagger deep into its side. A terrible combat ensued.“
Was einer stark verkürzten Fassung der EXTRAORDINARY JOURNEYS – Complete Collection entspricht:
„The shark returned, and, turning on his back, prepared himself for cutting the indian into two, when i saw Captain Nemo rise suddenly, and then, dagger in hand, walk straight to the monster, ready to fight face to face with him. […]
[…] and, when it rushed at him, threw himself on one side with wonderful quickness, avoiding the shock, and burying his dagger deep into its side. But it was not all over. A terrible combat ensued.“
Die authorisierte Fassung aus dem Projekt Gutenberg ist folgend:
„Der Hai kam wieder, legte sich auf den Rücken und schickte sich an, den Indier zu zerfleischen, als der Kapitän Nemo, welcher neben mir kauerte, plötzlich aufsprang. Den Dolch in der Hand ging er gerade auf das Ungeheuer los, um es im Kampf mit ihm aufzunehmen.
[…]
Der Kapitän Nemo nahm seine Stellung. Rückwärts gebogen erwartete er mit staunenswerther Kaltblütigkeit das fürchterliche Thier, und als dieses auf ihn zustürzte, bog er sich mit wunderbarer Behendigkeit seitwärts, wich dem Stoß aus und bohrte ihm seinen Dolch in den Bauch. Aber damit war’s noch nicht aus. Es entspann sich ein furchtbarer Kampf.“
In der Edition aus der Arno Schmidt Referenzbibliothek ist es folgendes zu finden:
„Der Hai kam wieder, legte sich auf den Rücken und schickte sich an, den Inder zu zerfleischen, als Kapitän Nemo, der neben mir kauerte, plötzlich aufsprang. Den Dolch in der Hand, ging er gerade auf das Ungeheuer los, um es im Kampf mit ihm aufzunehmen.
[…]
Kapitän Nemo nahm seine Stellung. Rückwärts gebogen erwartete er mit staunenswerter Kaltblütigkeit das fürchterliche Tier, und als dieses auf ihn zustürzte, bog er sich mit wunderbarer Behendigkeit seitwärts, wich dem Stoß aus und bohrte ihm seinen Dolch in den Bauch. Aber damit war’s noch nicht aus. Es entspann sich ein furchtbarer Kampf.“
Und schauen wir was Frosted Games da raus gezaubert hat. Die Karte wurde mit „Weit aufgerissener Kiefer“ ins Deutsche übersetzt:
„Der Hai kehrte zurück und ich sah, wie sich Kapitän Nemo plötzlich erhob, das Messer in der Hand, bereit, das Ungeheuer zu bekämpfen. Mit großer Behändigkeit versenkte er den Dolch tief in der Seite des Fisches. Ein grausiger Kampf entbrannte.“
Man sieht an diesen Beispielen deutlich, das sich VPG große Mühe gegeben hat sich an die literarische Vorlage, wie sie in der Landessprache vorliegt, zu halten, d.h. man hat sich eingehend mit dem Werk beschäftigt. Wie genau sieht man u.A. auch daran, das die erste Edition von Nemo’s War noch der Wortlaut der 2009 verfügbaren Übersetzung von Frederick Paul Walter verwendet wurde und 2017 dann die neue Edition von Lewis Page Mercier verwendet wurde. Was man am letzten Beispiel gut sehen kann. Die Karte „Jaws Wide Open!“ hat in der 1st Edition folgenden Text:
„The shark bellowed, so to speak. Blood was pouring into the waves from its wounds. The sea was dyed red, and through this opaque liquid I could see nothing else.“
Welches der exakte Wortlaut der Übersetzung von Frederick Paul Walter entspricht und anders von Lewis Page Mercier übersetzt wurde:
„The shark had seemed to roar, if i might say so. The blood rushed in torrents from its wound. The sea was dyed red, and through the opaque liquid i could distinguish nothing more.“
Kurzum: VPG hat allergrößten Wert darauf gelegt, dort wo es möglich ist, Werkgetreu zu sein ob man nun die Übersetzung von Frederick Paul Walter der von Lewis Page Mercier vorzieht oder umgekehrt, ist sicher auch Geschmacksache. Aber VPG hat sich für eine Fassung entschieden hat diese Konsequent als Vorlage verwendet. Ganz anders im lokalisierten Spiel von Frosted Games, welche jeglichen Respekt vor der literarischen Vorlage missen läßt. Während VPG mit Nemo’s War eine spielerische Verbeugung vor einem wegweisenden Werk zelebriert, habe ich den Eindruck das man bei Frosted Games gar nicht so richtig wusste das es eine literarische Vorlage gab. Das kann ich mir zwar im Grunde nicht vorstellen, aber anders kann ich es mir einfach nicht erklären.
Von dem was ich bisher von dem Spiel gesehen habe, kann ich als Jules Verne Fan jedem nur von der deutschen Version des Spieles abraten. Ohne Frage, Nemo’s War ist ein tolles Spiel, was gerade durch seine Atmosphäre überzeugt, aber in dieser Form greift man am besten zum „original“ von VPG.
Lieber Frosted Games Verlag: Hier müsst ihr dringend nachbessern. Entscheidet euch für eine Vorlage und nutzt diese konsequent. Wenn ihr meint, das ihr es besser könnt, dann ist es auch ok eine eigene Übersetzung zu erstellen. Aber dann übersetzt bitte auch den kompletten Roman, den dürft ihr dann auch selbst referenzieren. Das ist vermutlich die schlechteste aller akzeptablen Lösungen, aber das was ihr getrieben habt ist das kalte Grauen.