Gloomhaven: World-Buildung par excellence

Im direkten Vergleich sieht Star Wars: Rebellion winzig aus

Im direkten Vergleich sieht Star Wars: Rebellion winzig aus

Die Welt der Dungeon Crawler hat sich lange Zeit in einer Art Schaffenskrise befunden. Seit Heroquest 1989 erschienen ist, hat sich zwar einiges getan aber vergleicht  man Descent 2nd Edition aus dem Jahre 2012 mit dem vorgenannten bemerkt man, dass sich die Spiele im Grunde nur in Details unterscheiden. Klar, Descent ist moderner und profitiert von den Detailverbesserungen enorm, aber nach Helmut Kohl ist es  entscheidend was hinten raus kommt. Und das ist bei Heroquest nun mal im Kern das Gleiche wie bei dem mehr als 20 Jahre älteren Descent.

Nun scheint es einen neuen Silberstreif am Horizont der Dungeon Crawler zu geben: Gloomhaven von Isaac Childres geht in vielerlei Hinsicht Wege die bisher kein Crawler gegangen ist und schafft es gleichzeitig die ursprüngliche Faszination einer eigenen Welt, die in einer Kampagne nach und nach entdeckt wird, neu anzufachen.

Abstrakt gesehen entspricht Gloomhaven genau dem Archetyp dieses Genres: Eine Heldengruppe marschiert von Szenario Dungeon zu Szenario Dungeon, sammelt dabei Erfahrung, Gold und div. Ausrüstungsgegenstände. Im Laufe der Kampagne werden die Helden stärker, bekommen bessere Ausrüstung und können damit stärkere Monster verdreschen. Eine kleine Besonderheit ist, dass man ohne Overlord oder Spielleiter auskommt (ähnlich der durchaus gelungenen App für Descent, die den OL-Part übernimmt – nur ohne App).

Ein Szenario bietet eine umfangreiche Story

Ein Szenario bietet eine umfangreiche Story

Schaut man etwas  mehr in die Details, so findet man Mechaniken die nur vereinzelt genretypisch sind. Die Motoren des Spiels beleben das festgefahrene Genre auf eine Art und Weise, die das Herz von so manchem Hobby-Abenteurer höher schlagen lässt. Zum einem ist dies der Ablauf des Szenarios. Nach dem Spielaufbau und dem üblichen (und durchaus wichtigen) „flavour“-Text, geht die Klopperei los. Anstatt mit dem Charakter zugeordneten Bewegungspunkten und Kampfaktionen hat jeder Held ein eigenes Kartendeck, welches alles ausmacht was ein Held so kann. Laufen, Kämpfen, Rundumschläge, Springen, Heilen, etc. – alles was ein Held tut wird über diese Fähigkeitskarten gesteuert. Davon kann jeder Held 8 bis 12 (zumindest die Helden, die ich bisher kenne) in ein Szenario mitnehmen. Jede Karte hat zwei Aktionen eine „oben“ und eine „unten“. Jede Runde wählen alle Helden gleichzeitig zwei dieser Karten verdeckt aus, legen sie vor sich hin, decken sie dann auf und die oberste Karte bestimmt für die ganze Runde die Initiative. Danach spielen sie in Initiative Reihenfolge von einer Karte die obere Aktion und von der anderen die untere Aktion. Diese Karten sind dann vorerst erschöpft und man spielt mit denjenigen weiter, die man noch hat. Hier sind schon die ersten interessanten Entscheidungen für die Helden: Zum einen wählt man 2 Karten, dessen Aktionen man durchführen möchte (und dann hat man diese Aktionen erstmal nicht mehr zur Verfügung) und zusätzlich wird von jeder Karte nur die Hälfte (oben/unten) ausgeführt, so das man hier Aktionen „abwerfen“ muss, ohne sie auszuführen. Die Karten sind so aufgebaut, dass die Aktionen „oben“ eher Kampfaktionen sind und die Aktionen „unten“ eher Bewegungsaktionen. Hier findet man ein Motiv wieder, welches ganz genretypisch ist: 2 Aktionen; bewegen und kämpfen.

Nun ist man mit einem Kartendeck von 10 Karten, bei 2 gespielten Karten pro Runde, recht zügig am Ende seiner Möglichkeiten angekommen. Wenig überraschend  kann man erschöpfte Karten wieder auf die Hand nehmen, jedoch gibt es einen kleinen Kniff, der es in sich hat. Grundsätzlich kann ein Held alle seine erschöpften Karten am Ende jeder Runde wieder auf die Hand nehmen. Wenn er davon eine Karte zufällig und permanent (für dieses Szenario) abwirft. Oder man verzichtet am Anfang der Runde auf das Ausspielen von 2 Karten (= man verzichtet auf die 2 Aktionen in der Runde), hat für die Runde die Initiative 99 und bekommt am Ende alle abgelegten Karten wieder, von denen er eine auswählen darf, die er permanent abwirft. Wie man es auch dreht, mit jedem „Durchlauf“ seines Kartendecks wird das Deck kleiner. Das symbolisiert die fortschreitende Erschöpfung, die ein Held mit der Zeit in so einem Dungeon erleidet auf eine einfache, effektive und höchst interessante Art, denn es ist für den Helden durchaus entscheidend, welche seiner Aktionen er permanent aus dem Spiel nimmt. Zudem hat jeder Held eine individuelle maximale „Verweildauer“ in einem Dungeon, bevor er vor Erschöpfung zusammenbricht. Das Ganze wird dadurch verschärft, dass eine Vielzahl von Aktionen, meistens die etwas stärkeren, von dem Spieler verlangt die Karte permanent aus dem Spiel zu nehmen. Deswegen hat man immer die Wahl, eine Karte als Standard-Kampf (oben) oder Standard-Bewegung (unten) zu verwenden. Das ist thematisch grandios und stellt den Spieler vor Entscheidungen, die weit über das Übliche „welches Monster greife ich zuerst an“ hinaus gehen, und sind oft entscheidend für den Erfolg.

Der Kampf selber wird auf unspektakuläre Weise, im Prinzip auch ganz genretypisch, aufgelöst. Basiswert + zufälliger Modifikator = Kampfwert. Inklusive von bekannten Sachen wie „Shields“, „Pierce“ u.ä. – anstelle von Würfeln wird hier allerdings auf ein weiteres Kartendeck gesetzt. Dieses enthält Werte von -2 bis +2 sowie einen Fehlschlag und eine Verdopplung. Dieses besteht anfangs bei jedem Helden aus den gleichen 20 Karten. Anstatt einer Würfelorgie wird pro Kampf eine Karte aufgedeckt und das Ergebnis steht fest. Das geht schnell von der Hand und bewirkt das Gleiche wie Würfeln. Dazu kommt jedoch, dass die Helden zwar alle mit dem gleichen Deck starten, jeder Held jedoch im Laufe einer Kampagne sein Deck individuell modifizieren kann (und wird).

Ohne auf weitere Details einzugehen, hat Isaac hier basierend auf Euro-Mechanismen ein Fundament geschaffen, auf dem die Spieler in ein Szenario eintauchen können, in welchem sie sich auf ihre Entscheidungen konzentrieren können ohne viel Zeit für das Bilden von Würfelpools, würfeln und auswerten der Ergebnisse aufwenden zu müssen. Das kommt dem Spieltempo zu gute und das nicht zu knapp.

Neben dem mehr als soliden Fundament, hat Gloomhaven allerdings noch viel mehr zu bieten, denn die richtige Faszination wird davon versprüht, wie dies alles in das Kampagnensystem eingebettet ist. Auch hier gibt es viele kleine Kniffe, welche dazu führen, dass sich Gloomhaven wie eine eigene Welt anfühlt. Jeder Held hat ein Lebensziel auf welches er hinarbeitet, welches den anderen Spielern unbekannt ist. Ebenso hat jeder Held ein individuelles Szenarioziel.  Beides zusammen bringt eine weitere individuelle Ebene in die Dungeons, da jeder Spieler eigene Ziele verfolgt, was durchaus zu Irritationen führen kann und teilweise „Reibungsfläche“ bietet.

Reichlich Sticker um die Welt zu gestalten

Reichlich Sticker um die Welt zu gestalten

Anders als jede mir bekannte Kampagne eines anderen Spieles, welche von Anfang an auf ein festes Ziel ausgelegt ist (töte den Oberboss, finde XYZ, etc.) kommt hier die Motivation aus dem Wunsch heraus die Welt zu entdecken und sein persönliches Lebensziel zu erfüllen. Jedes Szenario hat zwar ein eigenes Szenarioziel, wenn man dieses erfüllt, gilt das Szenario als“gewonnen“, aber es gibt kein direktes Spielziel für die Kampagne. Ein Spieler, der mit seinem Helden sein Lebensziel erfüllt, schaltet weiteres Spielmaterial frei und bekommt unverzüglich einen neuen Helden, welchen er wieder mühsam mit viel Liebe hoch leveln kann. Auch die Szenarien sind durch eine sehr intensive Geschichte miteinander verwoben, welche nicht linear verläuft, sondern sich verzweigt und teilweise auch Zweige „abgeschnitten“ werden können. Eine Entscheidung in Szenario A kann dazu führen das man ggf. Szenario B nicht mehr spielen kann (mit allem, was das Szenario potentiell freischalten würde). Hier sind starke Legacy-Aspekte, welche thematisch sehr überzeugend sind und sich „richtig“ anfühlen. Die Kampagne hat 95 Szenarien, von denen man laut Autor etwa 1/2 –  2/3 spielen kann, bis man „am Ende“ angekommen ist. Das macht neugierig und ist der eigentliche Kern des Spieles: eine eigene Welt entdecken und gestalten. Das fühlt sich stark wie ein MMORPG wie z.B. World of Warcraft an. Das ist eine eigene Welt, in der man sich mit seinen Freunden trifft,  in dieser herumstreift und Abenteuer erlebt. Man lebt quasi in dieser Welt für die Zeit, die man am Spieletisch sitzt. Angesichts dessen erscheinen 95 Szenarien als nicht mehr so viele, sondern werfen eher die Frage auf: Was kommt danach? Es wird noch eine ganze Weile dauern bis ich diese Frage nach dem Leben nach Gloomhaven beantworten kann.

Eine weitere Besonderheit ist, dass es sich Solo hervorragend spielt und ebenso können mehrere Heldengruppen in der gleichen Welt spielen. Auch müssen Spieler, denen Legacy nicht so sehr zusagt nicht allzu skeptisch sein. Mit wenig Aufwand lässt sich das Spiel komplett „resetten„. Dazu lassen sich auch durchaus mehrere Kampagnen parallel spielen, in der jede Gruppe eine komplett eigene Welt kreiert. Nur wenig relevantes Spielmaterial wird permanent verändert oder gar zerstört. Nichts was sich nicht mit Kartenhüllen, einem Kampagnensheet und einem Stickerbogen mit ablösbaren Stickern lösen lässt.

Isaac hat sehr umfangreiche Blogs über die Entwicklung von Gloomhaven verfasst, welche äusserst interessant und lesenswert sind. Woher seine Ideen kommen und was er mit welchen Mechanismen erreichen will, sind nur einige der Aspekte, die dort aus Sicht des Autor beleuchtet werden. Absolute Leseempfehlung.

Ich könnte mich seitenlang über die vielen Kleinigkeiten auslassen, die in das Spiel so integriert sind, dass man sie von der Spielmechanik nicht bemerkt, weil sie logisch sind, keinen Zusatzaufwand bedeuten und absoluten Spaß bereiten, jedoch würde ich vermutlich kein Ende finden und am Ende steht nach wie vor ein Ausnahmespiel, welches seinesgleichen sucht. Ohne wenn und aber, ich habe für mich den heiligen Gral der Dungeon Crawler gefunden.

Wie auch immer man zu Kickstarter und den Projekten dort steht, wenn man Gloomhaven haben möchte, ist es kaum ratsam darauf zu warten, dass es regulär in den Handel kommt. Die Zeit, die die 2nd Edition KS Kampagne benötigt hat um das Projektziel (100k) zu erreichen war in etwa die Zeit der Verfügbarkeit der Retail-Exemplare auf dem freien Markt: ca. 5 Minuten. Wer sich also mit dem Gedanken befasst, sich Gloomhaven zu besorgen und ein wenig Geduld hat, sollte sich die bis zum 1ten Mai laufende KS Kampagne ansehen. Die Ungeduldigen müssen auf den Sekundärmarkt ausweichen, wo es allerdings durchaus akzeptable Preise gibt.

Eine kleine Linksammlung zu Gloomhaven:

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Über Attila

Ich Spiele alles. Von Kinderspielen über Euro-Games, jeder Komplexität, bis hin zu CoSim's. Potentiell gibt es kein Genre, was ich nicht spiele - das Spiel muss halt für mich in der entsprechenden Gruppe einen Reiz haben. Ich mag's gerne, wenn es was länger dauert und auch etwas komplizierter ist. Wenn nicht, auch gut.
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3 Antworten zu Gloomhaven: World-Buildung par excellence

  1. Avatar-Foto Peter sagt:

    Toller Artikel! 🙂
    Nach dem Spiel halte ich wohl die Augen offen.

  2. Avatar-Foto Thomas sagt:

    Wow, das Interesse an diesem Spiel ist ja riesig. Beeindruckend zu sehen, wieviele finanzielle Unterstützer bereits vorhanden sind.

  3. Pingback: Spiel18-Watch: Gloomhaven – Forgotten Circles | Attila-Products

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